Venus von St. Matthias

Sarah Lisarelli (Université du Luxembourg)

Schaut her! Schaut mich an! Ich bin auch von Bedeutung! Ich bin nicht aus Versehen hier! Ich bin nicht nur irgendein verwahrloster Steinbrocken. Auch ich habe es verdient, bewundert zu werden! Schaut mich genau an. Könnt ihr meine Form noch leicht erkennen? Nur ein Teil meiner Beine und Bauches sind mir geblieben … Den Rest haben sie mir auf so schreckliche und brutale Weise weggenommen. Ich wurde im St. Matthias Kloster gefesselt, gedemütigt und entweiht. Man hat mich Jahrhunderte lang verspottet. Die ach so frommen Pilger kamen von überall nach Trier und bewarfen mich mit Steinen. Ich bekam ihren blanken Hass zu spüren. Immer wieder trafen mich ihre Wut und ihre Steine und jedes Mal ging ein Stück von mir verloren, bis kaum noch etwas übrigblieb. Ihre Abscheu hat sie dazu getrieben, mich zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln, mich unscheinbar und hässlich zu machen. Pure Folter war das! Wie konnten sie mir das nur antun? Wie konnten sie einer Frau nur solchen Schmerz zufügen? Wie konnten sie mich nur so entstellen? Dabei war ich für meine Schönheit bekannt!

Diese Christen wollten jegliche Abbildungen meiner Art vernichten. Sie wollten einfach nicht verstehen, wieso meine Anhänger materielle Abbildungen von mir ehrten. Sie verdammten und verpönten es. Sie waren der Ansicht, dass es falsch war, uns alte Götter zu ehren, und schon gar nicht eine bildliche Darstellung von uns. Als ob ihr Gott besser wäre? Wir sind älter als dieser neue Gott, uns gab es Jahrhunderte vor ihm! Und dann nehmen sich seine Anhänger das Recht, uns zu demütigen und zu zerstören?! Die Christen hielten mich für eitel und waren empört über meine kaum bekleidete Figur. Was fällt ihnen eigentlich ein, über meinen Körper zu urteilen? Wie kann man nur über etwas so Natürliches als den Körper einer Frau empört sein? Über etwas nackte Haut erschrocken sein? Wer gibt diesen alten Männern eigentlich das Recht, über meine Art der Kleidung zu urteilen? Als ob das ihre gewalttätigen Übergriffe auf mich rechtfertigen würde. Sie sollten meine Schönheit bewundern, so wie ich es verdient hätte!

Dabei haben diese Narren meine wahre Natur lange Zeit nicht einmal erkannt! Diana haben sie mich genannt. Ich heiße Venus! Als sie ihren Fehler endlich bemerkten, war es ihnen dann doch egal. Ob sie mich oder Diana steinigten, machte für sie keinen Unterschied. Als ob wir Frauen, nein wir Göttinnen, so ersetzbar wären?!? Wie konnten sie mich nur so behandeln? Mit ihren brutalen Attacken wollten sie an mir ihren Triumpf gegen unseren Glauben kenntlich machen. Wie barbarisch! Nach Jahrhunderter langer Verfolgung ist es den Christen gelungen, sich gegen uns zu erheben. Ihren Gott haben sie uns vorgezogen, bis wir kaum noch Macht hatten. Seitdem wollten sie uns an unsere Machtlosigkeit erinnern. Als sei der Verlust unser Herrschaft nicht Strafe genug, nein sie mussten es auf so grausame Art und Weise demonstrieren.

Einst war ich die Göttin der Liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit. Ich wurde verehrt und geliebt, so wie es sich gehörte! Meine Schönheit konnte man in jeder Statue, dir mir zur Ehren geschaffen wurde, bewundern. Mir wurden Opfergaben gemacht und meine Anhänger sorgten sich stets um meine Gunst. Ich war frei und mächtig. Doch heute ist kaum noch etwas von mir übrig. Ich sehe so hässlich aus, ohne jegliche Anmut. Ich und meinesgleichen werden als Mythen abgetan. In Geschichten und Gedichten findet man uns noch. Wie konnte es nur zu einer solchen Tragödie kommen? Wir werden nicht mehr verehrt, niemand betet uns mehr an, niemand schenkt uns seine Opfergaben. Der Kontakt zwischen uns und den Menschen wurde abgebrochen. Wie konnte das nur passieren? So viele unserer Anhänger haben noch vor Jahrhunderten versucht, sich gegen den damaligen Wandel zu wehren. Sie haben noch an uns geglaubt und wollten sich für uns Götter einsetzen, sie wollten sich für ihren Glauben, Traditionen und ihre Geschichte stark machen, doch sie konnten die schrecklichen Ereignisse nicht stoppen. Sie haben tapfer gekämpft. Trotzdem waren sie nicht stark genug. Ab dem Moment, in dem die Opfergaben verboten wurden, wurde es den Heiden unmöglich gemacht sich zu wehren. Man gab ihnen keine Chance mehr. Dabei hatte das Heidentum als einzige Religion das Recht fortzudauern! Doch mit jedem Anhänger, der sich von uns alten Göttern abwandte, wurden wir ein bisschen schwächer und haben einen Teil unserer Stärke verloren. Bis unsere Religion einem anderen Glauben Platz machen musste und wir entweiht, verspottet und zerstört wurden. Nun sind wir schon so lange fort, doch diese Christen sind immer noch hier. Ich sehne mich nach Rache. Eines Tages werden sie meinen Zorn spüren, das schwöre ich! Einst war ich eine angesehene und kraftvolle Göttin. Ich was so wunderschön! Doch sie haben mich komplett verunstaltet, man erkennt mich nicht mehr wieder. Niemand kann sich vorstellen, welche Qual es ist, heute kaum noch wahrgenommen zu werden! Keiner erkennt meinen Schmerz… Schaut her! Schaut mich endlich an!

Abb.: Venus Statue, Kopie, Trier, St. Matthias (© Trier, Kirchengemeinde St. Matthias)

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