Totenrede für Eustasius

Theresa-Mareike Riedel (Universität Trier)

Ein Coemeterialbau vor den Toren der Stadt Trier, irgendwann im 5. Jh. n. Chr.: Eine Trauergesellschaft steht vor einem Sarkophag. Der Redner, ein junger Mann, ergreift das Wort.

„Heute haben wir uns hier versammelt, um uns von unserem lieben Familienoberhaupt und Ehemann, von unserem Freund und wertvollen Mitglied unserer Gemeinde, dem unermüdlich arbeitenden und fleißigsten unter uns, meinem geliebten Vater, Eustasius, dem Glasmacher, zu verabschieden. Er stammte aus einer der erfolgreichsten Glasmacherfamilien Triers, deren Traditionen im Handwerk bereits seit vielen Generationen weitergegeben wird. Aus Syrien war unsere Familie, die dort das Wissen um die Herstellung der wundervollsten Gläser vor Jahrhunderten erlangte und seitdem sorgsam bewahrte und mehrte, nach Trier gekommen. Hier trug sie  gemeinsam mit anderen zugewanderten Familien der Glasmacher dazu bei, dass sich die Stadt und Kaiserresidenz Trier in Sachen Gläsern nicht nur nicht verstecken musste. Christus selbst fand Gefallen an den Gläsern der Glashütten, wie die zahlreichen Ankäufe durch den Klerus, die Diakone und andere Vertreter der Kirche zeigen! Und Eustasius, mein eigener Vater, war einer ihrer besten und teuersten und vor allem treuesten Handwerker dieser großartigen Familie. Schon bei seiner Geburt sah er, wie er seiner Mutter im Kindesalter erzählte, ein strahlendes Leuchten, das eines Engels, der ihm seine Zukunft als Nachfahre der alten Glasmacher wies. Gesegnet mit der Gabe der Gestaltung, der Freude und der Verquickung von Nützlichkeit und Schönheit, gleichsam seiner Ehrfurcht gebietenden körperlichen Gestalt, sollte er der würdigste unter ihnen werden. Aber er war auch ein wohlgläubiger, bescheidener und rechtschaffender, fleißiger, liebevoller und auch humorvoller Mann.

Bereits als Knabe gab er den Armen regelmäßig etwas von seinem Brot und freute sich still an ihrer Dankbarkeit. Seine Mutter lehrte ihn, ein wahrer Christenmensch zu sein, und er bewies die Früchte ihrer Lehrkunst Tag für Tag aufs Neue. Großartige Gläser und Mosaiksteine schuf er, angekauft von Kaisern, Königen und Bischöfen, im gesamten Reich und darüber hinaus. Aber als guter Christ schuf er seine Kunst natürlich nicht nur für diejenigen, die reich sind, sei es an Gütern oder geistiger Führungsmacht. Nein! Er schuf auch die Gläser der einfachen Leute unter uns und dies in einer Meisterschaft, die dennoch meist unerreicht blieb.

Das Glück war ihm schon immer hold, und so gewann er mit Veneria eine liebende, fürsorgliche und christliche Frau, mit welcher er viele Kinder hatte und sie im wahren Glauben erzog. Auch seine Söhne sind ihm später in das Handwerk gefolgt und ehren sein Andenken, indem sie seine Kunst weiterführen.

Welch eine Trauer umfasst mein Herz, wenn ich an jenen Tag denke, ich war noch jung, da sah ich ihm zu, wie er das wunderbarste Glasgefäß herstellte, einen Becher, mit solch christlichen Fischen verziert, da wusste ich, ich musste es auch erlernen und er hat sein Bestes gegeben, mich zu unterrichten. Ach, welch liebster Mensch, welch wundervoller Vater, welch einzigartiger Ehemann. Trauern wir um Eustasius und erheben unsere Gedanken zum Gebet, auf dass er hinauffahre in den Himmel, um die Wahrheit und das Antlitz Christus, unseres Herrn, zu schauen.“

Abb.: Konchylienbecher mit Meerestieren, 4. Jh. n. Chr. (© GDKE, Rheinisches Landesmuseum Trier, Inv. G I G 694)

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