Johannes Strähle

Und da stand sie still, quer und unbeweglich. 400 Meter lang, 60 Meter breit und 265.876 Tonnen schwer. Sie kam nicht vorwärts und nicht rückwärts. So tief wie der Kapitän der Evergiven, dem Containerschiff, das im März 2021 im Suezkanal feststeckte, in diesem Moment gerne im Erdboden versunken wäre, wäre er auf der anderen Seite der Erde mitten im Südpazifik wieder aufgetaucht. Das Ergebnis der Havarie: sechs Tage und sieben Stunden lang ging im Suezkanal gar nichts mehr. Für unsere globalisierte Welt war es eine Katastrophe. Der finanzielle Schaden pro Stunde (!) betrug etwa 400 Millionen US-Dollar. Eine unvorstellbare große Zahl. Die Welt ist globalisiert und wir sind abhängig davon. Wir kaufen etwas und die Ware legt Tausende von Kilometern zurück, bevor sie von einem Paketboten ausgestellt wird oder die Regale befüllt. Ähnlich war es aber auch bereits in der Antike, wenn auch mit anderen Waren und ohne DHL & Co. Versteht sich doch von selbst.
Anhand der Tabula Peutingeriana (einsehbar hier), der mittelalterlichern Kopie einer späten Karte, kennen wir Teile dieser Handelswege. Möchte man der heutigen Suezroute folgen, macht es wohl am meisten Sinn, nach Bernicide portum (Berenike, Segment 7) zu reisen und von dort an mit dem Schiff das Rote Meer zu verlassen und gen Indien zu segeln. So viel zur Route. Ein Händler, der eine solche Reise auf sich nahm, segelte mit Schiffen bis zu drei Masten. Im mediterranen Bereich ein seltener Anblick. Unser Händler heißt Azizos, ein Syrer, der durch seine Grabinschrift nachweislich in Trier war, und sein erstes Ziel ist die Südspitze der arabischen Halbinsel. Nicht aber um Waren des täglichen Gebrauchs zu kaufen, wie es heutzutage der Fall ist, sondern um Luxuswaren zu kaufen.

Unser Azizos segelt nicht im Auftrag des Staates und zudem unter großem Risiko, aber umso höher ist die Rendite. Bis zu 10-fache Gewinne kann er erreichen. Hierfür sollte aber alles gut gehen, denn es steht viel auf dem Spiel. Er hat Millionen Sesterzen investiert, um die Fahrt zu ermöglichen. Aber wenn alles gut geht und er in Indien Pfeffer und andere exotische Waren laden kann, warten potenziell bis zu 16 Millionen Sesterzen auf ihn und seine Kapitalgeber. Da bleibt genügend übrig, auch nach Abzug der in Ägypten zu entrichtenden 25-prozentigen Zollabgabe auf Indienwaren.
Mehrere Wochen wird das Schiff brauchen, um von Arabien nach Südindien zu gelangen, und dabei wird die Besatzung von Kräften abhängig sein, die sie nicht beeinflussen können. Nach einer strapaziösen Seefahrt kommt das Schiff in Muziris in Indien an. Denken Sie jetzt bloß nicht, dass Azizos dort ein bunter Vogel gewesen ist. Naja ein wenig vielleicht, aber es gab eigens ein Quartier für römisch-griechische Kaufleute. Azizos hatte dort die Möglichkeit, sich auszutauschen und sicherlich waren die Römer und Griechen dort an den „neusten“ Nachrichten aus dem Mittelmeerraum interessiert, die Azizos mitbrachte. Aber auch außerhalb des Quartiers gab es interkulturellen Kontakt. Es war also bereits eine Globalisierung, die nicht nur den Warenaustausch beinhaltete, sondern auch Kulturaustausch förderte. Und lösen Sie sich aus einer eurozentrischen Sichtweise, denn die Inder waren als Händler genauso unterwegs wie die Römer. Schlichtweg nur in die andere Richtung. Nachdem unser Azizos wieder das Mittelmeer erreicht hat, ist für einen Teil der Waren die Reise noch nicht beendet. Fernöstliche Waren gelangten nämlich auch bis nach Trier. Narde (eine Heil- und Nutzpflanze, aus der unter anderem wertvolle Öle und Salben hergestellt wurden) ist sicher nachgewiesen, aber auch Weihrauch, Elfenbein und Perlen kamen bis nach Trier. Aber wer konnte sich so etwas leisten? Die Güter waren Monate lang unterwegs und wechselten oft die Hände, die alle ihren Anteil in ihre Taschen steckten. Je weiter weg von der Produktionsstätte, desto teurer wurde es. Der Prunk der kaiserlichen Residenz zog Luxusgüter förmlich an. Beamte, die aus Rom kamen, brachten ihn mit und sie verlangten nach den ihnen bekannten Gütern. Aber auch die hiesige Trierer Oberschicht konnte sich die Luxuswaren leisten. So fanden sich in einer Begräbnishalle unter St. Maximin in Trier Grabbeigaben wie Goldschmuck sowie kostbare Textilien aus Seide und Purpurwolle.
Die antike Globalisierung ermöglichte es also nicht, für den einfachen Bürger an Waren des alltäglichen Gebrauchs zu kommen. Vielmehr gelangte die Oberschicht dadurch an Waren, die sie vor Ort nicht bekamen und die sie von anderen abgrenzte.
Abb.: Containerschiff Ever Given blockiert den Suezkanal 2021(CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=102350705)
Abb.: Grabinschrift des Syrers Azizos, 2. Hälfte 4. Jh. n. Chr. (© GDKE, Rheinisches Landesmuseum Trier, Inv. G I B 112)