Evangeliar-Fragmente Tholey

Lisa Köhl (Universität Trier)

Tholey, am 3. Mai 1913

Mit seinen 571 Metern überragt der Schaumberg ein kleines Dorf im nördlichen Saarland. In keltischer Zeit als Fliehburg ausgebaut, um die Zeitenwende ein römisches castrum, krönte ihn im Mittelalter die „Schauenburg“. Sie verlieh dem Berg seinen Namen und wurde 1631 völlig zerstört. Am Fuße dieses Berges – knapp 400 Jahre später – beginnt unsere fiktive Geschichte:

Während Hans die Stufen der Tholeyer Abtei herunterlief, konnte er die Geschichte(n) schon riechen. Der Geruch nach alten Büchern, manche mit Rändern so mürbe, dass die Seiten zersplitterten, wenn man sie nur berührte, aber auch der Duft der Vergangenheit. Etwas modrig, doch voller Versprechungen und Abenteuer. Die wahrscheinlich älteste Abtei auf deutschem Boden, zum ersten Mal im Testament des Diakons Adalgisel am 30. Dezember 634 erwähnt. Eine Abtei, die dieser auf den Ruinen eines römischen Badehauses errichten ließ. Obwohl von diesem ursprünglichen Bau nichts mehr erhalten ist, war Hans ganz in seinem Element. Vor seinem geistigen Auge beschwor er das Bild eines Kaltbades mit zwei großen gemauerten Wannen herauf, das den Hauptteil des Badehauses ausmachte und später von den Mönchen sogar als Grabstätte verwendet wurde.

Als er am Ende der Treppe ankam, raste sein Herz nicht nur aufgrund der Anstrengung. Vor ihm erstreckten sich Regale voller Bücher, manche sahen aus, als ob sie erst kürzlich zur Hand genommen wurden, auf anderen lag die Staubschicht zentimeterdick. Der angehende Wissenschaftler war so überwältigt, dass er gar nicht wusste, wohin er sich zuerst wenden sollte.

Wahllos ging er hin und her, griff in Regale, zog Bücher heraus. In manche las er rein, andere blätterte er nur schnell durch. Stundenlang verbrachte Hans zwischen staubigen Büchern. Aber dieser Tag sollte ein ganz besonderer werden und ihm noch Jahre später in Erinnerung bleiben. Der unauffällige kleine Einband, der sich als Zinsbuch herausstellte und zwischen dessen Seiten ihm ein kleiner Schatz in die Hände fallen würde, würde alles verändern.

Nach diesem Sensationsfund, der ihm immerhin 200 Mark und das Exklusivrecht zur Veröffentlichung bis 1918 einbrachte, war sich Hans aber sicher, wohin ihn sein Weg führen würde – immer tiefer in den Sog der Geschichte. Denn eins stand für ihn fest: nicht nur in der Benediktiner Abtei St. Mauritius gibt es viel zu entdecken, sondern die ganze Region ist voll von Geschichten – vieles Fakten, anderes eher Fiktion – die entdeckt werden wollen.

Manchmal braucht es nur ein bisschen Glück – wie bei Hans.

Abb.: Evangeliar-Fragmente, Tholey, Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Historische Sammlungen, Inv. Hs 702 (fol 1r; fol 2r, fol 2v)

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