Ein (fiktiver) Brief der Heiligen Helena an ihren Sohn, den römischen Kaiser Konstantin

Hippolyte Weiland (Université du Luxembourg)

An meinen Sohn Konstantin, den römischen Kaiser, den frommen Christ,

Bei unserem letzten Briefverkehr entschied ich mich bewusst dazu, Dir meine geplante Reise nach Jerusalem, dem Heiligen Land, zu verschweigen. Doch jetzt, nach dem sich meine Reise als erfolgreich herausgestellt hat, kann ich nur behaupten, dass mein Unternehmen die letzten Jahre meines Lebens bis in den Tod prägen werden. Die Wahrhaftigkeit des Jesus Christus wurde mir vor Augen geführt: die Reliquien, die ich dir noch zu einem späteren Augenblick schicken werde, geben unserem Glauben einen Sinn, da sie die Rechtfertigung des wahren Herrn bestätigen! Ich versuchte seit jeher, dich im christlichen Glauben zu erziehen. So warst du als Kind und Jugendlicher skeptisch und fragtest mich immer wieder, was es sich denn mit dieser Religion auf sich habe. Die alten Götter und Traditionen waren Dir lieber als Jesus Christus! Doch ich wusste immer, dass diese Religion die Deine sein wird.

Die Reise war lang und anstrengend, viele Hürden mussten überwunden und viele Anfeindungen ertragen werden. Doch mir war trotz meines hohen Alters bewusst, dass ich mich auf den Weg nach Jerusalem begeben musste, um die Stelle zu erforschen, wo der Herr gelitten hatte. Dieser Herr hat Dir das gegeben, was Du jetzt bist. Die heidnische Dekadenz der vergangenen Jahre, die Rom zu einem Ort der Vergangenheit gemacht hat, wurde Dir mit Gottes Hilfe nicht zum Verhängnis. Du hast Dich nicht treiben lassen und Du bist dem Herrn gefolgt. So war es gar, wie Du mir immer wieder schilderst, Jesus Christus selbst, der dir erschienen ist und dir den Sieg über den Rivalen prophezeite. Das Christusmonogramm gab deinen Armeen die Kraft, die Rivalen zu besiegen. In hoc signo vinces! Erkläre mir wie es sein konnte, dass Jahre zuvor wir Christen verfolgt wurden, und unser Glaube nicht anerkannt wurde und gar verachtet und bestraft wurde. So sind mir auf dem Wege zu den Heiligen Stätten viele Menschen begegnet, die nicht verstehen können, wie man einem solchen Aberglauben nur einer Minute lang Beachtung schenken sollte. Den alten Aberglauben müsstest du all jenen verbieten, die diesen Götzen immer noch anhängen. Auch sie sollen den einzig wahren Gott endlich anerkennen.

So begab ich mich nach Jerusalem, auf der Suche nach dem wahren Kreuz Christi. Ich musste hart verhandeln, um Ausgrabungen in Auftrag geben zu können: als Frau wird es einem bis zur heutigen Zeit nicht einfach gemacht, selbst wenn man die Mutter des römischen Kaisers ist… Doch die Herrlichkeit Gottes gab mir die Kraft, mich durchzusetzen, und so fand ich das Heilige Kreuz, an dem Jesus Christus den Opfertod fand.

Du, mein Sohn, machtest mich zu einer mündigen Frau! Dir ist es zu verdanken, dass ich als Greisin, wie Du mich bezeichnest, diesen langen Weg in das Heilige Land bestreiten konnte, Du mein Sohn gabst mir, mit Hilfe von Christus, eine neue Lebensperspektive. Doch auch meine niedere Herkunft gab mir Kraft, ein Leben inmitten Gottes zu führen, und es ist mir gelungen, diese Kraft Dir, Sohn, weiterzugeben. Doch die Hilfe des Herren war ausschlaggebend! Und hier hast Du die Beweise, dass unser Glaube aus Dir machte, was Du bist: Das Kreuzholz, an dem Jesus mit Nägeln befestigt wurde, verblutete und mit Stolze seinen Glauben als Märtyrer verteidigte. So machte ich mich auch auf die Suche nach den Nägeln, mit denen der Herr ans Kreuz geschlagen wurde. Ich fand sie! Nun Sohn, will ich Dir das Kreuz und diese Nägel überbringen, als Dank an Dich, in der tiefen Überzeugung an die göttliche Erlösung. Diese Nägel scheinen verrostet, doch sie sind Zeugen der Leiden und Opfer Christi, und genießen aus diesem besonderen Grunde irdische Verehrung! Du bist Soldat, Mensch und Herrscher! Schlachten hast du mit Gottes Hilfe gewonnen und die barbarischen und heidnischen Feinde geschlagen. Aus einem der Nägel habe ich bereits einen Zaum anfertigen lassen. Nun erwäge ich, den anderen Heiligen Nagel in einen eisernen Helm einarbeiten zu lassen, der Dir in weiteren Schlachten Glück bringen, und Dir weitere Kraft Gottes geben soll. So bin doch noch unentschlossen, denn die wahre Kopfzierde, die einen ehrfürchtigen Kaiser des römischen Reiches und christlich- abendländischer Herrscher ausmacht, ist und bleibt die Krone. So überlege ich mir, die heiligen Nägel doch in ein Diadem einzuarbeiten und dir diese Krone zu überreichen, die du mit Würde tragen kannst und jederzeit auf die Hilfe Christi setzen kannst. Ich bin zu diesem Zeitpunkt unentschlossen, in welcher Form ich Dir Sohn, diese Nägel übergeben kann. Deshalb frage ich dich mein geliebter Sohn, ob du etwa einen Helm oder ein Diadem bevorzugst?

Ich bitte dich noch einmal, mein Sohn, lass die alten Götter endlich los, es kann dir nichts mehr geben. Nimm meine Geschenke an. Die Reliquien werden dir die Kraft geben, das Christentum zu wählen. Sie werden Dir helfen die Christen in eine bessere Welt zu führen. Du brauchst Gottes Kraft, um das Römische Reich erfolgreich leiten zu können. Ich flehe dich an, mein Sohn, wähle den Christ, damit du das Ewige Leben erlangen kannst.

Deine Dich liebende Mutter

Abb.: Statue der Helena mit Kreuz, um 1680 (©Trier, MaD, Inv. P 734)

Wir respektieren Ihre Privatsphäre

Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen. Weitere Infos finden Sie in der Datenschutzerklärung
notwendige System-Cookies
Auswählbare Cookies
Cookiemanager