Marcel Mouson (Universität Trier)

Flavius Anastasius grüßt seinen teuren Freund, den Senator Flavius Felix!
Du hast mich gefragt, ob ich mir wirklich Hoffnungen auf ein Konsulat mache, obwohl wir schon so lange keinen Konsul mehr hatten. Ich habe dir doch bei Deinem letzten Besuch das Elfenbeintäfelchen aus dem Besitz meines Urgroßvaters gezeigt, das Konsulardiptychon eines gewissen Flavius Basilius. Mein Ahn hat es als Geschenk zu dessen Konsulat erhalten. Du konntest Dich nicht daran erinnern, dass die alten Konsuln bei dieser Gelegenheit Geld und Geschenke unter das Volk warfen. Kaiser Justinian setzte dieser Freigiebigkeit mit seiner Regelwut ein Ende, wie auch dem Konsulat. Aber ich sage Dir, Das war das Geringste! Die Wagenrennen – oh, die Wagenrennen, die sie bei ihrem Amtsantritt ausrichteten … die waren wirklich außergewöhnlich!
Im Westen haben sie seit Jahrzehnten keinen Konsul mehr, aber was bedeuten diesen Barbarenkönigen schon uralte römische Institutionen? Wo kein Kaiser, da kein Konsul, auch wenn, wie Du weißt, von dem Barbaren, diesem schnurrbärtigen Theoderich, noch eine Zeit lang Konsuln ernannt wurden. Traurige Gestalten. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der Kaiser diese Tradition wiederaufleben lässt. Und wie Du weißt, bringe ich alles mit, was man als Senator für so ein Amt benötigt. Ich stamme aus einer alten Familie, besitze ein beträchtliches Vermögen und bin dem Kaiser treu ergeben. Ich könnte es mir leisten, Feste, Spiele und Zirkusrennen auszurichten und bräuchte auch an Geschenken nicht zu geizen. Wenn Du mich fragst, müsste man uns Senatoren und echten Römern auch die Gelegenheit geben, unseren Wohlstand zu zeigen und ihn zu teilen. Der Pöbel sieht schließlich zu uns auf. Und wie ginge das besser, als durch die Ernennung zum Konsul, dem ältesten all unserer Ämter.
Ich habe einflussreiche Freunde, zu denen ich Dich doch sicherlich auch zählen darf. Und mächtige Feinde, an deren Zahl man große Männer zu messen pflegt. Um deinen Einwand, den Du sicherlich vorbringen möchtest, vorwegzunehmen: Ich mache mir keine großen Illusionen, meine tatsächliche Macht wäre begrenzt. Aber die Ehre für mich, mein Haus, meine Nachfahren! Irgendwann würde jemand mein Diptychon in Händen halten und davon träumen, es mir gleichzutun. Und ich würde auch niemanden vergessen, der mir auf diesem Weg unterstützend zur Seite stand – Du verstehst.
Lebe wohl.
Konstantinopel, im Januar 602
Abb.: Basilius Diptychon des Konsuls c. 480 n. Chr., Florenz, Museo Nazionale del Bargello, Inv. 8 A (© akg images, Erich Lessing)